Schilddrüsenkarzinom
Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland haben Schilddrüsenknoten. Das zeigen epidemiologische Daten. Die allermeisten dieser Knoten sind harmlos, aber die wenigen bösartigen Fälle herauszufiltern, ist eine diagnostische Herausforderung in der Endokrinologie und Onkologie. Spezialisierte Pathologinnen und Pathologen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Im Juli 2025 veröffentlichte das Leitlinienprogramm Onkologie die neue S3-Leitlinie zu Schilddrüsenkarzinomen. Sie gibt erstmals konkrete Empfehlungen auf höchstem Evidenzniveau für Diagnostik und Therapie aller malignen, also bösartigen Schilddrüsenkarzinome. Beteiligt als Mandatsträger für die beiden Organisationen (DGP/BDP) der Pathologie war PD Dr. Dr. Udo Siebolts, ärztlicher Leiter der Molekularpathologie am Institut für Pathologie der Uniklinik Köln, Leiter des Referenzzentrums für Schilddrüsenpathologie sowie Leiter der Biobank. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderung Schilddrüse, die neue Leitlinie und die Notwendigkeit von Schilddrüsenoperationen.
Zahlen – Daten – Fakten
| 6.000 Neuerkrankungen | mit Schilddrüsenkarzinomen zählte das Robert Koch-Institut im Jahr 2022.
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Die 5-Jahres-Überlebensrate | liegt bei Frauen bei 94 %, bei Männern bei 88 %. Die Prognosen sind also sehr günstig, vor allem, wenn es um die häufigste Form, das papilläre Schilddrüsenkarzinom, geht. Schilddrüsenkarzinome werden zudem häufig in einem frühen Stadium entdeckt.
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Rund 85 bis 90 % aller Schilddrüsenkarzinome | sind papilläre oder follikuläre Schilddrüsenkarzinome und meist gut behandelbar.
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| Nur ca. 2 % aller Schilddrüsenkarzinome | sind anaplastische Schilddrüsenkarzinome, hochgradig maligne und aggressiv. Sie haben eine schlechte Prognose.
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Bei 51 Jahren (Frauen) und 55 Jahren (Männer) | liegt das durchschnittliche Erkrankungsalter. Das ist im Vergleich zu anderen Krebsarten recht niedrig.
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Risikofaktoren sind | ionisierende Strahlung, vor allem im Kindesalter, Jodmangel, gutartige Schilddrüsenerkrankungen und erbliche Syndrome.
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Quelle: Robert Koch-Institut, S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom
Nachgefragt bei …
… PD Dr. Dr. Udo Siebolts, ärztlicher Leiter der Molekularpathologie am Institut für Pathologie der Uniklinik Köln, Leiter des Referenzzentrums für Schilddrüsenpathologie sowie Leiter der Biobank.
Herr Siebolts, Sie sagen, Schilddrüsentumoren sind viel häufiger, als die RKI-Zahlen glauben lassen.
Das ist richtig. Das Robert Koch-Institut erfasst jene Tumoren, die klinisch relevant werden – also solche, die behandelt oder gemeldet werden müssen: 6.000 Neuerkrankungen zählte das RKI 2022. Das gilt statistisch als seltene Entität. Autopsiestudien zeigen aber, dass bis zu 35 % Prozent der Bevölkerung kleine papilläre Schilddrüsenkarzinome haben – ohne es zu wissen. Die meisten dieser Tumoren bleiben klinisch unauffällig. Besonders in Deutschland, einem Gebiet mit Jodunterversorgung, kommt es häufig zu Schilddrüsenveränderungen. Entscheidend ist: Nur ein Bruchteil wird wirklich gefährlich.
Es gilt als schwierig, die bösartigen Tumoren herauszufiltern. Warum ist das so?
Das liegt daran, dass sich gutartige und bösartige Tumoren im Ultraschall und in der Zytologie oft sehr ähneln. Eine Punktion kann zwar Hinweise liefern, aber die Aussagekraft ist ebenfalls begrenzt. Viele Knoten können nur dann sicher unterschieden werden, wenn das Gewebe eines Operationspräparates unter dem Mikroskop untersucht wird. Hier ist das Spezialwissen der Pathologinnen und Pathologen gefragt. In der aktuellen WHO-Klassifizierung gibt es zum Beispiel Tumoren, die zwar in der Zytologie wie ein bösartiges papilläres Karzinom aussehen, sich aber biologisch gutartig verhalten. Sie werden als eigene, nicht maligne Entität beschrieben. Mit einer einfachen Punktion lässt sich das nicht unterscheiden. Um sicherzugehen, müssen wir den Knoten operativ entnehmen und histologisch untersuchen. Dies kann insgesamt wieder zu mehr Abklärungsoperationen führen, auch wenn die Eingriffe heute kleiner und schonender sind als früher.
Sie haben an der S3-Leitlinie zu Schilddrüsenkarzinomen mitgearbeitet. Warum ist sie wichtig?
Weil sie endlich eine gemeinsame Grundlage schafft – für uns in den Kliniken, der Endokrinologie und Pathologie gleichermaßen. Zum ersten Mal liegen für bösartige Veränderungen der Schilddrüse evidenzbasierte Empfehlungen auf S3-Niveau vor. Das bringt Struktur, Orientierung und auch Rechtssicherheit – Stichwort: leitliniengerechte Therapie. Für uns Pathologinnen und Pathologen ist sie eine wichtige Orientierungshilfe. Vor allem für Pathologinnen und Pathologen, die nur gelegentlich Schilddrüsengewebe sehen, ist die Leitlinie eine enorme Hilfe. Sie bündelt Wissen, erklärt Hintergründe und dient als Leitfaden für den aktuellen Stand der Diagnostik.
Sie gehören zu den wenigen Pathologinnen und Pathologen in Deutschland, die sich auf die Schilddrüse spezialisiert haben. Wie kam es dazu – und wie ist die Situation in diesem spezialisierten Bereich heute?
Das war eher ein Weg, der sich ergeben hat. In Halle an der Saale, wo ich viele Jahre tätig war, gibt es eines der großen operativen Schilddrüsenzentren Europas. Dort bin ich sehr früh mit vielen komplexen Fällen in Kontakt gekommen und habe gemeinsam mit erfahrenen Chirurginnen und Chirurgen gearbeitet – das hat meine Spezialisierung geprägt. Heute gibt es im deutschsprachigen Raum nur eine Handvoll Pathologinnen und Pathologen, die sich intensiv mit Schilddrüsenkarzinomen befassen. Neben mir in Köln sind das auch Kolleginnen und Kollegen in Essen, Erlangen und Bern. Das macht es schwierig, die Expertise zu bündeln und strukturiert an den Nachwuchs weiterzugeben.
Zitat
PD Dr. Dr. Udo Siebolts, ärztlicher Leiter der Molekularpathologie am Institut für Pathologie der Uniklinik Köln, Leiter des Referenzzentrums für Schilddrüsenpathologie sowie Leiter der Biobank.
„Für die Zukunft wünsche ich mir, dass nicht nur der wissenschaftliche Nachwuchs, sondern auch wir erfahrenen Pathologinnen und Pathologen an den universitären Zentren wieder mehr Freiräume für wissenschaftliche und strukturelle Arbeit erhalten. Die Anforderungen an Diagnostik und Qualität steigen kontinuierlich – Forschung und Fachentwicklung müssen damit Schritt halten können, um auch für die Zukunft gerüstet zu sein. Mit den richtigen Rahmenbedingungen kann unser Fach seine Innovationskraft voll entfalten.“
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