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Monatsthema 12: Gendermedizin

Kachel Gendermedizin

Medienbriefing des Experten Prof. Dr. Alexander Quaas zum Thema "Gendermedizin in der Pathologie"

Gendermedizin in der Pathologie

1964 wurde das Chemotherapeutikum 5‑FU in Deutschland zugelassen. Noch heute zählt es zu den Standardtherapien unter anderem bei Darm-, Magen-, Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die klinischen Studien wurden seinerzeit fast ausschließlich mit Männern durchgeführt – inzwischen weiß man, dass 5‑FU bei Frauen deutlich toxischer wirkt und starke Nebenwirkungen hat, da Frauen das Medikament langsamer abbauen. Eine niedrigere Dosierung wäre angemessen. Solange jedoch keine klinisch belastbaren Dosisstudien vorliegen, erhalten Frauen weiterhin die Standarddosis. Gendermedizin hat das Ziel, solche Praktiken medizinisch zu korrigieren.

In Deutschland ist der Begriff „Gender“ häufig ideologisch belastet – in der Gendermedizin geht es aber nicht um sprachliche Formulierungen, sondern um reale Unterschiede in Krankheitsverläufen. Auch bei vielen Krebserkrankungen zeigen sich signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede bei gleicher Tumorentität – eine systematische Auseinandersetzung damit gibt es in Deutschland erst seit etwa zehn Jahren. Über den Status quo sprachen wir mit dem Pathologen Prof. Dr. Alexander Quaas, stellvertretender Leiter des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Uniklinik Köln und Leiter der Referenzpathologie unter anderem für Speiseröhrenkrebs. Er sagt: „Gendermedizin ist kein ‚nice to have‘, sondern grundlegende Präzisionsmedizin.“

Zahlen – Daten – Fakten

1964

wurde das Chemotherapeutikum 5-FU zugelassen – getestet fast nur an Männern, was bis heute Auswirkungen hat.

 

1978

gilt als Geburtsstunde der modernen Gendermedizin: Zwei Kardiologinnen in Pittsburgh veröffentlichten Studien zu geschlechtsspezifischer Symptomatik beim Herzinfarkt.

 

Seit rund 10 Jahren

gibt es in Deutschland eine systematische Auseinandersetzung mit Genderaspekten in der Onkologie, vorangetrieben vor allem durch Onkologinnen.

 

Seit 5 Jahren

gibt es an der Universitätsklinik Köln die Arbeitsgruppe „Sex, Gender and Diversity in Medical Research“ mit einer Untergruppe zu Krebs.

 

2021

richtet die Universität Bielefeld eine klinisch-theoretische W3-Professur für Geschlechtersensible Medizin ein – die erste ihrer Art in Deutschland mit formeller Bezeichnung „Geschlechtersensible Medizin“.

 

2023

startete Nordrhein-Westphalen das Projekt „Leuchtturm Gendermedizin.NRW“ zur Berücksichtigung von Geschlechts- und Genderaspekten in der medizinischen Forschung sowie in der Vorsorge, Diagnose, Therapie und Nachsorge.

 

2024

besetzt die Otto‑von Guericke‑Universität Magdeburg die deutschlandweit erste Vollzeit‑Stiftungsprofessur für Geschlechtersensible Medizin mit klinischer Anbindung.

 

2025

 

gibt es noch immer keine Anpassung der Dosierung des Chemotherapeutikums 5-FU für Frauen mit Darm-, Magen-, Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.    

 

 

Nachgefragt bei …

… Prof. Dr. Alexander Quaas, stellvertretender Leiter des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Uniklinik Köln und Leiter der Referenzpathologie für Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts.

Prof. Quaas, wie sind Sie als Pathologe auf das Thema Gendermedizin gekommen?

Mein Einstieg in die Gendermedizin war fast ein Zufall – und ein Aha-Moment. In der pathologischen Diagnostik macht es keinen Unterschied, von wem eine Gewebeprobe stammt – der diagnostische Prozess ist gleich. Aber ich forsche auch. Als Wissenschaftler arbeitete ich vor etwa sieben bis acht Jahren an einem Forschungsprojekt zu Speiseröhrenkrebs und hatte eine bestimmte Hypothese im Kopf. Die Daten passten aber einfach nicht zur Erwartung. Ich habe dann etwas gemacht, was man bei dieser Tumorart selten gemacht hat: Ich habe die Daten nach Geschlechtern getrennt analysiert. Das war gar nicht so einfach. Denn bis dahin wurden fast alle Auswertungen geschlechtsgemischt durchgeführt, auch deshalb, weil es oft gar nicht genug weibliche Fälle bei dieser Tumorart gibt. Mein Arbeitsplatz in Köln kam mir da zugute: Köln ist Europas größtes Zentrum für Speiseröhrenkrebs. Ich hatte genug Daten, um Männer und Frauen getrennt auszuwerten.

Was haben Sie gefunden?

Erstaunliches: Ein bestimmter immunologischer Parameter – die Anzahl neutrophiler Granulozyten im Tumorgewebe – war bei Frauen stark mit einer besseren Prognose verknüpft. Sie hatten seltener Lymphknotenmetastasen, lebten länger. Bei Männern zeigte sich dieser Effekt gar nicht. Das war mein Einstieg. Heute zeigen die Forschungsergebnisse: Die Biologie des Speiseröhrentumors unterscheidet sich zwischen Mann und Frau – nicht in der Entstehung, sondern in der Reaktion des Körpers darauf. Die Vorstufe, die sogenannte Barrett-Schleimhaut, ist mehr oder weniger geschlechtsneutral – aber der daraus entstehende Speiseröhrenkrebs tritt 8- bis 9-mal häufiger bei Männern auf.

Wo stehen wir in der Gendermedizin?

Aktuell stehen wir noch am Anfang, und zwar in der Phase der Datenerfassung und Sensibilisierung. Dennoch wissen wir inzwischen, dass es bei mehreren soliden Tumoren Unterschiede gibt bei Frauen und Männern – in Häufigkeit, Verlauf, Prognose, Therapieansprechen und Nebenwirkungen. Was wir auch zunehmend besser verstehen, sind die biologischen Grundlagen, die dafür verantwortlich sein könnten:

  • Erstens das Immunsystem: Frauen haben eine andere Art der Antigenverarbeitung und -reaktion, was wir unter anderem auch daran erkennen, dass die meisten Autoimmunerkrankungen bei Frauen auftreten
  • Zweitens das Hormonsystem: Hormone, wie Östrogen oder Testosteron, beeinflussen viele direkt oder indirekt zelluläre Prozesse, auch die Tumorbiologie.
  • Und drittens die molekulare Biologie der Tumoren: Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer ein X und ein Y. Wir wissen, dass bei 60 % der Speiseröhrenkarzinome das Y-Chromosom komplett aus der Tumorzelle entfernt wird – warum das passiert und welche Folgen das hat, wissen wir noch nicht genau, aber es scheint mit der Tumorprogression zusammenzuhängen. Frauen entwickeln häufiger eine spezifische Mutation im Dickdarmkrebs (KRAS G12C)

Diese drei Systeme wirken zusammen und führen dazu, dass ein Tumor, der bildgebend gleich aussieht, biologisch völlig anders funktioniert, je nachdem ob er im männlichen oder weiblichen Körper wächst. Das zeigt: Gendermedizin ist kein „nice to have“, sondern grundlegende Präzisionsmedizin. Sie rettet Leben und sollte genau deshalb konsequent angewendet werden.

Zitat

„Viele Dinge in der Natur entstehen zufällig, folgen aber anschließend festen Gesetzmäßigkeiten. Auch bei Krebs: Mutationen im Erbgut – die Basis vieler Krebserkrankungen – entstehen durch Zufall. Doch wie ein Tumor wächst, wie das Immunsystem darauf reagiert oder ob eine Therapie wirkt, richtet sich nach biologischen Notwendigkeiten. Immunsystem, Hormonsystem und Chromosomen sorgen dafür, dass Frauen und Männer unterschiedlich auf Krebserkrankungen und Tumortherapien reagieren, obwohl die Ursachen oft identisch sind. Demokrit hat das so beschrieben: Alles, was im Weltall existiert, ist die Frucht von Zufall und Notwendigkeit. Dieser Grundgedanke der Natur hat mich durchs Studium begleitet und prägt mich noch heute.“

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