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Können wir trotz des rasanten Fortschritts in der Medizin und der wachsenden diagnostischen Anforderungen Generalist*innen bleiben?

Das Organisationsteam der DGP-Jahrestagung 2025 aus Göttingen (v.l.n.r.): A. Fichtner, H. Bohnenberger, P. Ströbel, F. Bremmer und A. Marx (Foto: UMG 2024)

Ein Interview mit dem DGP-Tagungspräsidenten, Prof. Philipp Ströbel aus Göttingen, anlässlich der 108. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie in Leipzig, 12. – 14. Juni 2025

DGP: Das Motto der Jahrestagung lautet „Expect the Extraordinary“ – das spiegelt sich auch im Tagungslayout wider. Was verbirgt sich dahinter?

P. Ströbel: Zuallererst sollen das Motto und das Tagungslayout natürlich neugierig auf die Tagung machen – wir als Organisationsteam tun alles, um den Kongress so vielseitig und interessant wie möglich zu gestalten, was bei den vielen großartigen vorausgegangenen Jahrestagungen eine echte Herausforderung ist! Das Motto kann man auf ganz verschiedene Weisen interpretieren – es umfasst zum einen die Anforderung an uns Patholog*innen, dass wir uns bei der Routinearbeit immer darüber im Klaren sein müssen, dass auch bei scheinbar einfachen oder alltäglichen Fällen ganz außergewöhnliche Situationen auftreten können, die dann unsere Diagnose beeinflussen. Beispielsweise kann das Erkrankungsalter oder die anatomische Lokalisation nicht zu der vermuteten Diagnose passen. Oder wir erhalten nachträglich relevante Informationen zu einer Vorerkrankung, zu der wir unsere Diagnose ins Verhältnis setzen müssen. Für mich ist das Motto vor allem auch eine Anspielung auf seltene Erkrankungen, ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Das sind einerseits die wirklich seltenen Erkrankungen, an welche die meisten von uns spontan denken würden, z.B. mein Spezialgebiet, die Thymome und Thymuskarzinome, aber tatsächlich zählen auch sehr viele der Tumorerkrankungen, mit denen wir es häufiger zu tun haben, wie Hodentumoren, Lymphome, Sarkome, oder neuroendokrine Tumoren, nach der Definition der EU zu den seltenen Erkrankungen. Neben den Tumoren gibt es natürlich auch viele herausfordernde nicht-neoplastische Erkrankungen wie Glomerulonephritiden, interstitielle Lungenerkrankungen, Vaskulitiden, oder Stoffwechselerkrankungen, deren Bearbeitung eingehende Spezialkenntnisse und nicht selten auch eine besondere apparative Ausstattung erfordern. Und dann gibt es „das Seltene im Häufigen“, also ungewöhnliche Veränderungen z.B. in der Brustdrüse oder der Prostata. All das sind Situationen, in denen wir alle froh sind, wenn es spezialisierte Kolleg*innen gibt, an die wir uns wenden können. Diese Spezialisierung ist normalerweise das Resultat einer konzentrierten und häufig eigenständigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Materie über viele Jahre hinweg. Die Entscheidung, sich auf ein bestimmtes Themengebiet zu fokussieren, erfolgt meist zufällig: Sie haben Ihre Ausbildung bei einer Lehrerin oder einem Lehrer begonnen, die Sie zu dem Thema hingeführt hat, oder Sie haben sich zu irgendeinem Zeitpunkt Ihrer Karriere aus den unterschiedlichsten Gründen für die Erkrankung interessiert und sind dann dabeigeblieben. Mein Punkt ist: national gesehen folgt diese Entscheidung keiner übergeordneten Strategie und ist losgelöst von unserem medizinischen Versorgungsauftrag. Bislang haben wir es als Fachgemeinschaft in der Pathologie immer geschafft, unserem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Mit Blick auf die Alterspyramide und der steigenden Schwierigkeit, unseren Nachwuchs für langfristiges wissenschaftliches Arbeiten zu motivieren bzw. diese Arbeiten in unserem immer dichter werdenden Arbeitsalltag zu integrieren, stellt sich aber die Frage, ob wir das auch in Zukunft so werden leisten können. Es war bisher immer unser Selbstverständnis, dass wir Pathologen*innen Generalisten sind, aber das wird dem rasanten Fortschritt des medizinischen Wissens und den ständig steigenden Anforderungen an unsere Diagnosen nicht mehr gerecht. Die Umsetzung der Krankenhausreform und der Leistungsgruppen wird diesen Trend vermutlich noch verschärfen: es wird wahrscheinlich selbst an Universitätskliniken in Zukunft nicht mehr selbstverständlich sein, dass unser Probeneingang alle Fachgebiete abdeckt. Aus dieser Sicht könnte pathologisches Spezialwissen absehbar zuerst bei seltenen, dann aber auch bei häufigeren Erkrankungen ein knappes Gut werden. Ich meine, dass wir zu diesen Entwicklungen zunächst innerhalb der Fachgemeinschaft, dann aber auch gemeinsam mit Vertreter*innen der Krebsgesellschaften, den Kostenträgern und der Politik in den Austausch gehen müssen. Ich möchte die Jahrestagung auch als Forum dafür nutzen, über diese Aspekte nachzudenken und gemeinsame Standpunkte zu entwickeln.

Sie und Ihr Göttinger Team haben die Themenschwerpunkte rare diseases, new technologies, digitization und young talents gesetzt. Was erwartet die Teilnehmer*innen der Jahrestagung?

P. Ströbel: Alle diese Themen sind bereits auf einer der vorausgegangenen Jahrestagungen in größerem oder kleinerem Umfang behandelt worden. Mein Team und ich wollen unseren Besucher*innen nun einen Rundumblick verschaffen und die Themen in einen größeren Zusammenhang einordnen. Die Schwerpunktthemen stehen alle miteinander in Verbindung: Neue Technologien haben entscheidend dabei mitgeholfen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren und unsere Diagnostik zu verbessern. Sie haben beispielsweise dazu geführt, dass wir seltene molekular definierte Subentitäten mit hoher Präzision und Sicherheit identifizieren können – mit der Folge, dass scheinbar „häufige“ Erkrankungen in viele „seltene“ Subgruppen zerfallen. Gemeinsam mit dem zweiten Schwerpunktthema, Digitalisierung, sind sie ein wichtiger Ansatz zur Lösung des oben beschriebenen Problems, wie wir es auch in Zukunft schaffen, flächendeckend eine qualitativ hochwertige diagnostische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dabei stellt sich die Frage: wie steht es um die Digitalisierung der deutschen Pathologien? Wo sind typische Hindernisse, die adressiert werden müssen? Entsteht gerade ein digitaler Flickenteppich, oder müssen wir in der Lage sein, deutschland- oder europaweit miteinander zu kommunizieren?
„Young talents“ erwähne ich hier als letztes Thema, aber eigentlich steht es ganz oben auf der Agenda. In enger Abstimmung mit dem Jungen Forum wollen wir unserem Nachwuchs viel Freiraum geben, sich mit allen Aspekten insbesondere der akademischen Pathologie zu beschäftigen. Das beinhaltet die Karriereplanung und wissenschaftliche Ausbildung, aber seit langer Zeit auch einmal wieder die Lehre. Für diesen Punkt wollen wir auch Studierende mit in die Programmgestaltung einbinden, um noch besser zu verstehen, wie wir unseren Nachwuchs am besten für unser großartiges Fach begeistern können.

Was sind Ihre persönlichen Highlights?

P. Ströbel: Meine persönlichen Highlights bei den Jahrestagungen waren und sind die Key Note Lectures, bei denen ich oft sehr viel Neues gelernt habe. In diesem Jahr haben wir dafür u.a. Prof. Heyo Kroemer, den Vorstandsvorsitzenden der Charité und ehemaligen Dekan der Universitätsmedizin Göttingen gewinnen können. Wer jemals die Gelegenheit hatte, einen seiner Vorträge mitzuerleben, weiß, dass kaum jemand in Deutschland einen so analytischen und kenntnisreichen Überblick über die aktuelle Situation des Gesundheitswesens geben kann, wie er. Ein weiteres persönliches Highlight „meiner“ DGP-Tagungen der vergangenen Jahre waren aber immer auch inspirierende Begegnungen mit hochtalentierten und motivierten jungen Wissenschaftler*innen, für die ich wirklich sehr dankbar bin und die mich mit Zuversicht auf die Zukunft unseres Faches blicken lassen.

Die Digitalisierung ist aus der modernen Pathologie nicht mehr wegzudenken. Trotzdem findet die Jahrestagung 2025 wieder in Präsenz in Leipzig statt. Warum?

P. Ströbel: Zunächst einmal – die Jahrestagung ist die denkbar beste Gelegenheit, um alte Bekanntschaften zu erneuern und neue zu knüpfen! Wo sonst gibt es ausreichend Zeit und Raum, um sich über Generationen, Ausbildungsstand und Fachgruppen hinweg über mehrere Tage auszutauschen? Ich selbst habe praktisch alle meine professionellen Netzwerke, darunter mit den Jahren auch viele Freundschaften, durch den regelmäßigen Besuch der DGP, IAP, oder BDP-Tagungen aufgebaut. Ein digitales Format kann diesen wichtigen sozialen Aspekt niemals ersetzen! Wenn Sie mich als Göttinger Pathologen fragen: „Warum Leipzig?“, dann ist meine Antwort: Göttingen ist eine wunderbare Stadt mit einer einzigartigen akademischen Tradition, auf die ich sehr stolz bin. Leipzig ist allerdings mit Blick auf Erreichbarkeit, Unterkünfte und den Tagungsort auf der Messe aus meiner Sicht für einen Kongress dieser Größe ideal, sodass wir uns aus diesen Gründen entschieden haben, die Tagung dort durchzuführen. Sie können sicher sein, dass wir Göttinger dafür sorgen werden, dass unser Standort im Programm angemessen repräsentiert sein wird!

Die Konferenzsprache der Tagung soll im nächsten Jahr zum ersten Mal komplett Englisch sein. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?

P. Ströbel: Das ist gewissermaßen ein Experiment und eine logische Fortsetzung eines Trends der vergangenen Tagungen. Mir ist bewusst, dass nicht alle Teilnehmenden diese Entscheidung gutheißen mögen. Allerdings haben wir schon seit langer Zeit regelmäßig internationale Delegationen zu uns eingeladen – ich nenne hier nur die gewachsenen engen Beziehungen zu den chinesischen, ungarischen, japanischen oder spanischen Fachgesellschaften. Es war mir ein persönliches Anliegen, auch den Austausch mit weiteren Nachbarn, z.B. den Niederlanden und Frankreich zu verstärken. Um diesen - und in Zukunft vielleicht auch weiteren - Gästen ein attraktives Angebot machen zu können und die Teilnahme am gesamten Kongress zu ermöglichen, war die Umstellung aus meiner Sicht alternativlos. Schon bei den Vorgesprächen wurde deutlich, dass wir alle mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben, wenngleich vielleicht unter verschiedenen Rahmenbedingungen. Der Blick über den Gartenzaun und die Möglichkeit, sich auf unserer Tagung nicht nur national, sondern auch international vernetzten zu können, schien uns eine wertvolle Perspektive und rechtfertigte für uns dieses Wagnis. Es bleibt meinen Nachfolger*innen im Amt aber unbenommen, dies bei den zukünftigen Tagungen wieder anders zu gestalten.

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Die Fragen stellte Beatrix Zeller von der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Pathologie.

Der Interviewpartner:
Prof. Dr. med. Philipp Ströbel ist Direktor des Instituts für Pathologie in der Universitätsmedizin Göttingen und langjähriges Vorstandsmitglied und Nachwuchsbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Er ist für die DGP u.a. Mitglied der Expertenkommission zur Entwicklung des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs für Medizin (NKLM) des impp, welcher die Grundlage für die Reform des Medizinstudiums bilden wird.


Korrespondierende Ansprechpartnerin
Beatrix Zeller
Deutsche Gesellschaft für Pathologie e.V. (DGP)
Robert-Koch-Platz 9
10115 Berlin
zeller@pathologie-dgp.de
Tel: 030 25 76 07 27

Das Interview ist in der Zeitschrift DIE PATHOLOGIE (Band 46, Heft 2, März 2025) im Springer Medizin Verlag erschienen. DOI: doi.org/10.1007/s00292-025-01421-1
Link zur Originalpublikation

Tagungshomepage der DGP-Jahrestagung 2025

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