Panel-Sequenzierung, Proteomik, DNA-Methylierungsanalysen, Exom- und Ganzgenomsequenzierung, RNA-basierte Analytik, konventionelle Genexpressionsanalysen, Immunhistochemie und Multiplex-Analysen, Testung für Checkpoint-Inhibitoren oder für Antikörperkonjugate und und und – das sind Verfahren in der Pathologie. Eine sinnvolle Kombination der Diagnoseverfahren führt an der TU München am Zentrum für Personalisierte Medizin/Schwerpunkt Onkologie zu hoffnungsvollen Ergebnissen: Menschen, für deren Krebserkrankung es keine Therapie mehr gibt oder von vornherein gar keine Therapie gab, bekommen in drei Viertel der Fälle nach Auswertung der Befunde im molekularen Board nun doch eine, im Schnitt sogar über zwei Therapieempfehlungen. Maßgeschneidert.
Ohne Pathologie, die derzeit so technologiebefeuert ist wie noch nie, funktioniert Personalisierung nicht. Deshalb ist personalisierte Medizin ein Schwerpunkt der 107. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie im Mai 2024 in München. Die Onkologin Prof. Dr. Anna Lena Illert, Leiterin des Zentrums für Personalisierte Medizin an der TU München, und die Pathologin Prof. Dr. Carolin Mogler, geschäftsführende Leiterin des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der TU München und stellvertretende Tagungspräsidentin der DGP-Jahrestagung 2024, erläutern die wichtigsten Aspekte.
Seit 2013 | gibt es Molekulare Tumorboards in Deutschland; seit 2022 ist die Zertifizierung dieser als Zentren für Personalisierte Medizin-Onkologie (ZPM) bei der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) möglich |
2016
| Wurde das MTB an der TU München gegründet, 2023 als 3. ZPM deutschlandweit und erstes ZPM in Bayern von der DKG zertifiziert (ZPM München TUM). |
4 Unterzentren
| gehören in München zum ZPM. Bereits etabliert ist die personalisierte Onkologie (ZPM-O), welche als Blaupause für den Bereich der personalisierten Inflammationsmedizin (ZPM-I), Kardiologie und Neurologie dienen soll. |
400-500 Krebserkrankte | behandelt das ZPM-O der TU München derzeit im Jahr. 800-1.000 Patienten sollen es im nächsten Jahr werden. |
Knapp 3/4 der Krebserkrankten | im ZPM-OTUM, für die alle Therapieoptionen als ausgeschöpft gelten, erhalten aktuell im Durchschnitt >2 Therapieempfehlungen im Off-Label-Bereich. |
Kein Patient/keine Patientin
| muss persönlich ins ZPM kommen. Individuelle Therapieempfehlungen werden auf Basis der Befunde, Proben und Dokument erstellt, die die Zuweiser (niedergelassene Onkologinnen und Onkologen) schicken. |
25 Prozent | der Krebserkrankten im ZPM-O werden aus dem Münchner Umland zugewiesen. Absolut gesehen wäre eine Zunahme dieser Zahl wichtig, um die translationale Versorgungsmöglichkeit der Patienten im ZPM-O in die Fläche zu bringen |
§ 64e SGB V | heißt der aktuelle Game-Changer für die Weiterentwicklung der personalisierten Versorgung: das Modellvorhaben Genomsequenzierung. |
350 Millionen Euro | stellen die Krankenkassen für dieses 5-Jahres-Modellvorhaben im Bereich der Onkologie bereit, das Genomsequenzierung in die Routineversorgung überführen soll. Für den Bereich seltene Erkrankungen sind es noch einmal 350 Millionen Euro. |
… Prof. Dr. Carolin Mogler, kommissarische Leiterin des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der TU München und stellvertretende Tagungspräsidentin der 107. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie im Mai 2024 in München.
Frau Professor Mogler, warum ist personalisierte Medizin ein Schwerpunkt der diesjährigen Jahrestagung?
Am Beispiel der personalisierten Medizin und der Zentren für Personalisierte Medizin (ZPM) wird deutlich, wie sich die Pathologie gewandelt hat. Früher stand sie – zum Beispiel bei Krebserkrankungen – nur am Anfang und am Ende einer Erkrankung. Heute hat sie eine komplett andere Rolle. Natürlich schafft sie weiterhin am Anfang mit der Diagnosestellung zunächst die Behandlungsgrundlage, darüber hinaus ist sie heute ein wichtiges Instrument der Therapiebegleitung und Therapieanpassung und ständiges Mitglied der molekularen Tumorboards in den ZPM. Bei jedem Krankheitsprogress, bei jeder Auffälligkeit im Therapieansprechen, bei Änderungen im Rezeptorstatus analysieren, sequenzieren und diagnostizieren wir neu. Wir sind somit in der Behandlungskette der Patientinnen und Patienten an vielen Punkten integriert. Das hat unsere Arbeit verändert und wird sie auch weiter verändern, deshalb haben wir dieses Thema auch als eines der vier Hauptthemen unseres Jahreskongress ausgewählt. Personalisierte Medizin ist ein Transformationstreiber für die Pathologie.
Ein weiterer Transformationstreiber ist der technologische Fortschritt.
Ja, die Entwicklung in der Pathologie ist enorm technologiegetrieben. Lange Zeit war die HE-Pathologie, wie sie Rudolf Virchow durchgeführt hat, state of the art. Dann kam die Immunhistochemie, dann kamen die ersten Gehversuche in der Molekularpathologie. Das ist alles noch nicht so lange her. Und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem der HE-Schnitt allein in vielen Bereichen zunehmend an Bedeutung verliert. Wir haben heute vor allem durch Digitalisierung und durch die personalisierte Medizin ein ganz neues Spektrum an Themen, welche die Pathologie in den nächsten Dekaden beschäftigen wird. Wir haben in sehr naher Zukunft die Exom- und Ganzgenomsequenzierung als Kassenleistung. Das ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Schritt. Andere neue Diagnostikverfahren, wie beispielsweise die Phosphor-Proteomik, müssen ebenfalls regelfinanziert werden, wenn wir vielen Menschen am Ende der Routineversorgung helfen wollen. Dafür brauchen wir Lösungen, die die Pathologie weiter verändern werden. Wir sind in einem großen Umbruch. Unser Jahreskongress steht deshalb unter dem sehr treffenden Motto „Next Generation Pathology“.
Ihnen stehen heute für die personalisierte Diagnostik eine Vielzahl von Verfahren und bald auch KI-Algorithmen zur Verfügung. Welche Rolle spielt das Fachwissen der Pathologin und des Pathologen?
Als universitäre Einrichtung sind wir hervorragend technologisch aufgestellt und DAkkS-zertifiziert. Wir können für jeden Patienten und jede Patientin eines ZPM aus dem Maximum an technologischen Möglichkeiten schöpfen, und halten auch seltene Analyseverfahren vor. Zwei Aspekte sind allerdings in diesem Zusammenhang wichtig: Zum einen geht es nicht darum, Verfahren um ihrer selbst willen zu nutzen, nur weil man sie hat. Es braucht Expertise, um sie individuell entsprechend den benötigten Ergebnissen zu kombinieren, damit sie im klinischen Alltag als maßgeschneiderte Therapie ihren Zweck erfüllen. Es muss nicht immer die Gensequenzierung sein, die einem Menschen neue Therapiewege öffnet. Ich kann bereits ganz konventionell mit einer guten histopathologischen Diagnostik und der eigenen Fachexpertise sowie mit einer ergebnisoffenen Prüfung externer Befunde einen sehr guten Beitrag leisten: Sieht ein Gewebeprofil ungewöhnlich oder untypisch aus, weise ich im molekularen Board darauf hin, dass wir aufpassen und eventuell anders denken müssen. Es könnte sogar eine neue Entität oder Subentität sein, die wir da sehen.
Zum zweiten: Technologie ist wichtig, aber nur eine Seite der Medaille. Faktisch kann jedes Labor Genomsequenzierung qualitätsgesichert anbieten. Die Frage für den Patienten ist doch aber: Was bedeuten diese Daten? Die Bewertung, Interpretation und Einordnung des pathologischen Befunds halte ich mindestens für genauso wichtig wie die rein technische Leistung. Im ZPM ist das sichergestellt: Wir geben den Patienten nicht einfach nur die Rohdaten, sondern eine Bewertung und eine darauf aufbauende Therapieempfehlung, die im molekularen Board gemeinschaftlich von Pathologie und Klinik erarbeitet wurde. Fachliche Expertise und Teamleistung sind also auch heute noch entscheidend.
… Prof. Dr. Anna Lena Illert, Leiterin des Zentrums für Personalisierte Medizin an der TU München (ZPM München TUM)
Frau Professor Illert, seit 2013 gibt es in Deutschland Molekulare Tumorboards, 2016 wurde das an der TU München gegründet. Seit Ende 2022 ist die Zertifizierung als Zentrum für Personalisierte Medizin möglich. Was ist das genau?
Ein Zentrum für Personalisierte Medizin, kurz: ZPM, ist die Höchstform der strukturierten Personalisierung, die wir heute in Deutschland bei der Behandlung von Krankheiten haben. In einem ZPM werden für jene Menschen, für die onkologische Therapieoptionen ausgeschöpft sind oder gar nicht existieren, evidenzbasierte Behandlungslösungen außerhalb der Routineversorgung, also im Off-Label-Bereich gesucht. Das heißt, die Arbeit eines ZPM beginnt am Ende der Routineversorgung. Das kann je nach onkologischer Erkrankung zu einem frühen oder späteren Zeitpunkt nach der Diagnose sein. Für das ZPM der TU München kann ich sagen, dass auf diese Weise aktuell knapp drei Viertel der Krebsbetroffenen, für die alle regulären Therapieoptionen ausgeschöpft sind, bei uns im Durchschnitt > 2 neue Therapieempfehlungen bekommen.
Die Besonderheit: Die Patientinnen und Patienten müssen nicht persönlich ins ZPM kommen, sie müssen in unserem Fall auch nicht in Bayern leben. Die personalisierte Diagnostik und klinische Analytik werden auf Basis der Befunde, Proben und Dokumente durchgeführt, die die Zuweisenden schicken. Die maßgeschneiderte Therapieempfehlung übermitteln wir zurück an die Zuweisenden. Wir übernehmen im ZPM aber sinnvollerweise auch die Umsetzung der empfohlenen Off-Label-Therapie, wenn das von den Patientinnen und Patienten und den zuweisenden Praxen gewollt ist. Für onkologische Erkrankungen haben wir dafür bereits eine starke Expertise: ca. Zwei Drittel der von uns gestellten Off-Label-Anträge werden genehmigt.
Für welche Erkrankungen sind die Zentren für Personalisierte Medizin da?
Momentan wird die Bezeichnung ZPM oft synonym für Einrichtungen der personalisierten Onkologie verwendet, weil die meisten der aktuell 19 zertifizierten deutschen ZPM-Standorte mit onkologischen Erkrankungen starten. Das ist aber nur der erste Schritt, eine Einschränkung auf bestimmte Erkrankungen gibt es perspektivisch nicht. Unser ZPM an der TU München umfasst vier Zentren. Bereits etabliert und seit 2023 zertifiziert ist die personalisierte Onkologie, zudem gibt es an den ZPM-Standorten in Baden-Württemberg sowie an der TU München bereits Boards für den Bereich personalisierte Inflammationsmedizin. Perspektivisch sind ZPM auch im Bereich der Kardiologie und Neurologie denkbar. Wir vom Bereich der Onkologie hoffen als Blaupause dienen zu können.
Die Dynamik in der personalisierten Versorgung ist enorm. Was kommt als Nächstes?
Der aktuelle Game-Changer in der personalisierten Medizin heißt § 64e SGB V und hat eine wichtige gesundheitspolitische Dimension. Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, kurz: GVWG, macht mit diesem Paragrafen den Weg frei für ein Modellvorhaben für umfassende Genomsequenzierungen bei seltenen und onkologischen Erkrankungen. Erstmals sind Krankenkassen bereit, insgesamt 700 Millionen Euro für die personalisierte Genomsequenzierung für die Bereiche Onkologie und seltene Erkrankungen bereitzustellen und so diese wichtigen MTB-Strukturen zu fördern. Dieses für 5 Jahre laufende Vorhaben strebt die Integration von Genomsequenzierung in die Regelversorgung an. Es soll noch in diesem Jahr starten, voraussichtlich im 3. oder 4. Quartal werden die ersten Patientinnen und Patienten eingeschlossen werden.
Prof. Dr. Carolin Mogler:
„Als Pathologin freue ich mich natürlich immer, wenn ich eine seltene oder unerwartete Mutation finde. Noch spannender ist es aber, wenn die Kliniker ein Medikament dagegen geben können und wir gemeinsam sehen: Dem Patienten geht es besser, oder er hat weniger Tumorprogress, oder wir schaffen sogar den Stillstand einer Tumorerkrankung. Personalisierte Medizin ist ein ganz großer Fortschritt, und die Pathologie ist ein essenzieller Teil davon.“
Prof. Dr. Anna Lena Illert:
„Die Leistung der Zentren für Personalisierte Medizin muss auch außerhalb des akademischen Bereichs weiter bekannt gemacht werden. Hier müssen wir mehr „Outreach-Arbeit“ leisten, damit niedergelassene Onkologinnen und Onkologen sowie Hausärzte und -ärztinnen unser Angebot kennen und das Vertrauen haben, eine Überweisung ihrer Patientinnen und Patienten ans ZPM zu initiieren.
Auch unsere Umsetzungsquote muss höher werden. Das möchten wir erreichen, indem wir künftig den Zuweisenden nicht nur die Therapieempfehlung und die wissenschaftliche evidenzbasierte Begründung liefern, sondern auch helfen, die Therapie bei der Krankenkasse zu beantragen. Nur in der interdisziplinären und intersektoralen Zusammenarbeit können wir die beste Betreuung unserer onkologischen Patientinnen und Patienten gewährleisten.“
Ansprechpartnerin für Medienanfragen
Beatrix Zeller, Tel: +49 30 25760 727 oder mobil +49 152 231 469 55
Presseverteiler
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Termine
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Einladung zum „Next Generation Pathology”-Presse-Event am 23. Mai 2024, 10.30 Uhr, im Institut für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Technischen Universität München
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